Schnecken
 

Bücher im Doppelpack

Jörn Kaufhold / Herbst 2020 / Slowakei

Die Tage sind kurz, die Abende lang und die Restriktionen, zumindest hier in der Slowakei, restriktiv. Eine gute Zeit, um sich einzumummeln und mithilfe von Büchern in die Welt hinaus zu ziehen. Und was ist besser als ein gutes Buch?

Richtig! Zwei gute Bücher.

Hier möchte ich in unregelmäßiger Folge von Büchern im Doppelpack erzählen, die mich in den letzten Jahren begeistert haben. Alle kreisen im weitesten Sinne um das Thema Wildnis und Naturwahrnehmung, alle bieten ´ne Menge Lesespaß und alle Buchduos haben etwas, was die beiden miteinander verbindet. Im heutigen Doppelpack geht es um zwei Tierarten, die kaum gegensätzlicher sein könnten: um einen Tiger und eine Schnecke.

Der Journalist John Vaillant erzählt in „Der Tiger: Auf der Spur eines Menschenjägers“ das Leben eines konkreten Amurtigers nach. Punkt für Punkt dokumentiert er, wie es dazu kam, dass er einem Menschen auflauerte und tötete. Das ist an sich schon spannend zu lesen, zu Recht nennt der Autor das einen dokumentarischen Thriller. Darüber hinaus arbeitet er pointiert heraus, wie schnell sich das Verhältnis zwischen Menschen und Tigern in den wilden 90er Jahren Russlands verschlechtert.

Während in Vaillants Buch reichlich geschossen wird, geht es in „Das Geräusch einer Schnecke beim Essen“ leiser, aber nicht weniger spannend zu. Die Autorin Elisabeth Bailey erzählt, wie sie durch eine Krankheit ans Bett gefesselt wird und ihr alles zu viel ist. Ihre Kraft reicht einzig aus, um eine kleine Schnecke zu beobachten, die sie unter den Blättern eine Topfpflanze findet. Während ihrer langsamen Gesundung beschäftigt sie sich mit der Biologie und der Kulturgeschichte der Schnecke und findet vieles, was überrascht (ich denke z. B. an Liebespfeile). Ihr Buch wurde geradezu hymnisch besprochen und alle Rezensionen betonen, dass es von nun an töricht ist, Schnecken nicht mehr zu beachten.

Für mich liegt der Reiz, beide Bücher hintereinander zu lesen, in dem krassen Gegensatz dieser Lebenswelten: Auf der einen Seite das Raubtier, der Tiger, in blutigen Konflikten mit Menschen gefangen; auf der anderen Seite das Weichtier, die Schnecke, die sprichwörtliche Langsamkeit. Dass beide Bücher lesenswert sind, hat einiges mit der Schreibkunst der Autoren zu tun, aber vor allem damit, dass die Welt bunt und spannend ist.