Stockente Trittsiegel
 

Hörenswürdigkeit oder der Grunzpfiff

Jörn Kaufhold / Winter 2023 / Slowakei

Geräusch, das; (mittelhochdeutsch geriusche, zu rauschen)
Rausch, der; (rückgebildet aus rauschen) 2. Glücksgefühl, das jemanden über seine normale Gefühlslage hinaushebt
rauschen (mittelhochdeutsch rüschen, wohl lautmalerisch; wohl Nebenform von veraltet gleichbedeutend reischen, vermutlich zu ³reihen)
³reihen (Jägersprache): mehrere Erpel, die während der Paarungszeit einer Ente folgen

Noch im Auwald höre ich die kehligen Rufe der Blässgans. Ich eile auf die Überschwemmungswiese. Ein halbes Dutzend Schofe in Keilformation fliegen Richtung See. Die erste Gruppe trudelt schon im Sinkflug gen Wasseroberfläche. Alle krakeelen „kjü-jü“ und „kiau-liau“ und schnattern und knattern mit den Flügeln. Und dann platscht und plätschert es und Wasser rauscht. Was für ein herrlicher Radau!
Gans um Gans landet mit militärischer Präzision, ich schätze zweihundert Tiere und als alle ihren Platz gefunden haben, kehrt unvermittelt Ruhe ein. Stille schwappt mit den letzten Wellen ans Ufer. Der Himmel ist blank, die Sonne steht tief und die Reiherenten am anderen Ende des Sees dösen mit Schnabel im Gefieder. Zeit, um Notizen zu machen.

Und plötzlich, da hilft nur Comicjargon: Whoosh. Ein einziges, langes, dumpfes WHOOSH!!

Zweihundert Blässgänse, die mit einem Flügelschlag aufsteigen. WHOOSH. Das massive Geräusch kommt aus dem Nirgendwo, ich kann es nicht orten, drehe mich um meine eigene Achse und brauche zwei Runden, bis ich die riesige Wand an aufsteigenden Gänsen überhaupt wahrnehme. Darüber kreist ein desinteressierter Seeadler. Ich kritzle in mein Notizbuch:

„So ein Geräusch – noch nie gehört. Ich bin beglückt. Was für ein Geschenk. Warum sind Sichtungen immer so wichtig? Ich tausche mich mit anderen darüber aus, was ich gesehen habe, aber eher weniger, was ich gehört habe. Als Augentiere bewerten wir den Hörsinn geringer. Es gibt Sehenswürdigkeiten, aber keine „Hörenswürdigkeiten“.

Während meines Rückwegs entlang der March denke ich an einige akustische Highlights in meinem Leben. Das Knistern von Birkenrinde in der Taiga, als sie wegen des tiefen Frostes aufreißt. Das Singen der Eisdecke des Werbellinsees, als es taut. Das keuchende Miauen des Luchskuders in der Ranz …

Auf der anderen Flussseite unter dem überhängenden Ufer bemerke ich eine Bewegung im Wasser. Im Glas erkenne ich mehrere Stockenten, die Erpel schon im Prachtkleid mit leuchtend grünem Kopf und gelben Schnabel. Ich zähle sieben Männer, die um zwei Frauen kreisen, eng beieinander. Ab und zu wirft einer der Enteriche seinen Kopf hoch, ich höre eine Art „reb“ und dann einen Pfiff – was mich überrascht. Ich habe nie eine Stockente Pfeifen gehört. Was bedeutet das?

Zuhause schlage ich im Kompendium der Vögel Mitteleuropas nach und lese einen alten Aufsatz von Konrad Lorenz. Der Pfiff hat einen Namen: „Grunzpfiff“.

Tolles Wort, nicht wahr?

Der Grunzpfiff ist in einer Bewegungsfolge des Erpels eingebunden, in dem er mit dem Schnabel Wasser in die Luft schleudert, dann pfeift und grunzt. Das ist ein Teil der Gemeinschaftsbalz der Erpel, auch Gesellschaftsspiel genannt.

Das war ein guter Tag für meine Ohren. Ich habe mich sattgehört.