Titelbild Raben 1
 

Wenn Kolkraben kräftig krächzen

Jörn Kaufhold / Slowakei / Februar 2017

Bei Bernd Heinrich (einem amerikanischen Biologen) hatte ich gelesen, dass nichtbrütende Raben sich gegenseitig zu einem aufgefunden Kadaver rufen. Zwar habe ich schon eine Reihe von Rabenspuren an Rissen von Wölfen gefunden, manchmal sogar Raben an Kadavern aufgeschreckt, bisher konnte ich aber nie „live“ beobachten oder hören, wie Raben lautstark ihren Artgenossen mitteilen, dass sie eine Futterquelle entdeckt haben.

Das sollte sich ändern und zwar während der zweiten Woche von „White Wilderness“ der Slovak Wildlife Society, wo ich als Guide Gruppen in die verschneiten Berge führe, um Fährten von Wölfen und Luchsen zu lesen und wissenschaftlich aufzunehmen.

Wir hatten uns gerade zu dritt gegen 10.00 Uhr zu einer späten Frühstückspause mit einer Tasse niedergelassen, als wir aus ca. 2 Kilometer das ansteigende Krächzen von Raben hörten. Wir sahen, wie Kolkraben sternförmig zu einem Punkt im Fichtenwald flogen. Das Krächzen aus dem Wald wurde dabei immer lauter. 

Schnell waren wir uns einig, dass da was los war, was wir checken wollten. Zügig schnallten wir unsere Schneeschuhe unter die Wanderstiefel und machten uns auf in Richtung der Geräuschquelle. Wir querten zuerst eine Hangwiese und mussten feststellen, dass die Lokalisation gar nicht so einfach war. Wir gingen bergauf, weil wir die Raben mehr oder weniger auf dem Hügel vermuteten. 

Oben angekommen krächzten zwei Raben aus vollem Schnabel bis sie uns entdecken und wegflogen. In einiger Entfernung hörten wir weitere Raben krächzen, die wir nicht lokalisieren konnten. So entschlossen wir uns, in Rufweite auszuschwärmen und den mittelalten Fichtenwald wie eine Polizeikette zu durchkämmen.

Nach einigem buchstäblichen Hin und Her und Auf und Ab entdeckten wir vereinzelte Blutstropfen im Schnee, die wir mit einer Hirschfährte bergab in Verbindung brachten. Als wir den Trittsiegeln folgten, sahen wir, dass der Hirsch mit Gewalt durchs Unterholz gebrochen war. Viele Äste waren abgerissen und blutig, ein junger Baum sogar entwurzelt. Die Blutstropfen in der Fährte wurden häufiger und schließlich fanden wir den Riss in einem vereisten und mit Weiden bestandenen Bachbett. Die Überreste bestanden nur noch aus Fellresten und Teilen der Wirbelsäule. Ringsum sahen wir viele Trittsiegel von Wölfen und – Raben.

Rabentrittsiegel beim Riss

Sorgfältig prüften wir die Wolfsfährten, die zum Riss hin- und wegführen. Die Fährten waren unterschiedlich alt, die ältesten mindestens zwei Tage. Das ganze Spurenbild rings des Risses deutete auf mehr als ein Wolf hin. Wir fanden auch eine „Startbahn“ eines Raben und in 20 Meter Entfernung verlief die ein oder zwei Tage alte Fährte eines Luchses.

Alles in allem lesen wir die Geschichte so: Der Hirsch brach blutend durchs Unterholz, vermutlich verletzt und auf der Flucht vor Wölfen. Denkbar ist aber auch, dass der Hirsch anderweitig verletzt wurde (Schuss). Wölfe haben dann den Hirsch einige Meter bergab gezogen und verwertet. Raben haben den Kadaver entdeckt und ebenfalls verwertet. Das laute und aufgeregte Krächzen, was wir in der Pause hörten, stammte mit hoher Sicherheit von den Raben, die sich unweit des Risses aufhielten. Andere Raben flogen diesen Punkt an, wir hörten und sahen dieses Verhalten und fanden den Riss dank der Raben. Ohne sie wären wir daran nichts ahnend vorbeigelaufen.