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Das Heulen der Goldschakale

Jörn Kaufhold / Slowakei / April 2018

Jeder Landschaft wohnt eine unverwechselbare Melodie inne. Streife ich Anfang April durch die slowakischen Marchauen höre ich Spechte hämmern, Mönchsgrasmücken schwätzen und Zilpzalpe zilpzalpen. Stürmt der Wind durchs Schilf, dann verstummen für einige Sekunden der ansonsten so vibrierende und vielgestaltige Gesang der versammelten Rohrsänger. In der Nacht dröhnen die dumpfen Chöre von Fröschen und Unken, begleitet vom gelegentlichen „huuh-hu-huhu“ eines balzenden Waldkauzes.

Der Musiker und Naturforscher Bernie Krause bezeichnet in seinem sehr lesbaren (und hörbaren) Buch „Das große Orchester der Tiere“ die Gesamtheit aller Klänge einer Landschaft als Biophonie. Greifen wir Menschen massiv in ein Habitat ein, verändern wir unweigerlich auch die dazugehörige Klanglandschaft. Bernie Krause beschreibt das anhand eines Waldes am Yuba Pass in der Sierra Nevada, in dem er vor und nach einem Holzeinschlag Aufnahmen machte. Obwohl dort nur selektiv und einzeln Bäume entnommen und die alten prachtvollen Mammutbäume geschont wurden, hat sich selbst nach 25 Jahren nicht wieder die alte bioakustische Vitalität eingestellt, wie vor dem Holzeinschlag. Wenn wir Grünland in Ackerflächen umwandeln, Wälder abholzen oder Feuchtgebiete trockenlegen, verstummen auch ganze Klanglandschaften.

Anfang April durfte ich quasi das Gegenteil erleben. Zusammen mit Nuno Guimaraes von der Matej-Bel-Universität in Banská Bystrica zogen wir bewaffnet mit einem Megafon in der Dämmerung in die Marchauen. An für uns geeignet erscheinenden Plätzen spielten wir Aufnahmen heulender Goldschakale ab. Abspielen, drei Minuten in die Dunkelheit lauschen, wieder abspielen, insgesamt fünf Mal wiederholen.

Das Ganze war ein erster Versuch für ein systematisches Monitoring unter Leitung von Nuno Guimaraes. Seit einiger Zeit häufen sich die Hinweise auf Goldschakale in der Slowakei. Kein Wunder, denn aus dem Süden kommend haben sich Goldschakale bereits in Ungarn etabliert; am Neusiedler See gibt es Beweise für Nachwuchs. Im Westen der Slowakei gab es bereits Sichtungen von Jägern. Der kurioseste Fall war allerdings ein Goldschakal, der es in die slowakischen Nachrichten schaffte, weil er nicht mehr aus Bratislava herausfand und betäubt werden musste, damit man ihn in den Kleinen Karpaten aussetzten konnte. Die Sprecherin der Nachrichten sprach fälschlicherweise aber konsequent von einem Rotfuchs.

Bei Wind sollte man eigentlich ein akustisches Monitoring abbrechen, weil mit der Windstärke rapide die Chancen sinken eine mögliche Antwort der Goldschakale zu hören. Da ich eh eingearbeitet werden sollte (zukünftige werde ich das Monitoring als Freiwilliger unterstützen) und wir im ersten Versuch vor allem Technik und Methode erproben wollten, setzen wir unsere Versuche fort.

An unserer vierten Stelle, beim vierten Abspielen – wir dachten schon nicht mehr an eine Reaktion – wehte der Westwind das Goldschakalgeheul für einige Sekunden herüber. In meiner Jugend hätte ich das Geheul als „leicht psycho“ bezeichnet. Eine Mischung aus Heulen, auf und ab Leiern und spitzen Schreien. Leicht zu unterscheiden zum eher langgezogenen Heulen der Wölfe oder dem heiseren Ranzbellen und einsilbigen Schreien der Rotfüchse.

Die Goldschakale sind nun eine Stimme im hiesigen Orchester der Tiere. Hört sich gut an.